2015 08 Dez
 
[Vortrag/Diskussion]
 

Was hätte Newton auf Goethes Experimente antworten müssen? – Ein spektrales Varieté

Was wäre geschehen, wenn sich Newton und Goethe ans Prisma gestellt hätten, um gemeinsam zu experimentieren? Was, wenn sie beide über ihren Schatten gesprungen wären, also rational miteinander diskutiert hätten, und zwar über ihre jeweils besten Experimente mit spektralem Licht? Und was wäre geschehen, wenn sie auch noch einige kürzlich entdeckte, neue Spektren in ihren Streit einbezogen hätten? Ich werde anhand einer Reihe von Experimenten vorführen, warum die Antworten auf diese Fragen keineswegs so desaströs für Goethes optische Newtonkritik ausgehen, wie man gemeinhin denkt; im Gegenteil, das Spiel ist bis heute offen, auch wissenschaftsphilosophisch.
In der Tat, in seiner monumentalen Farbenlehre (1810) war Goethe experimentell auf der Höhe seiner Zeit. Er variierte verschiedene Parameter der newtonischen Experimente, um neuen Spielraum für Alternativen zur Theorie Newtons (1672, 1704) zu gewinnen. Dabei erzielte er durchaus Erfolge. U.a. entdeckte er das objektive Komplement zum newtonischen Spektrum (das aussieht wie dessen Farbnegativ und durch Vertauschung der Rollen von Licht und Finsternis entsteht). Kürzlich hat der Wiener Maler Ingo Nussbaumer Goethes Methode kongenial fortgeführt. Dabei hat er sechs weitere Farbspektren entdeckt. Sie entstehen, wenn man anstelle des Hell/Dunkel-Kontrasts (in Newtons und Goethes Experimenten) mit Paaren bunter Komplementärfarben arbeitet. Die neuen Farbspektren sehen genauso differenziert aus wie Newtons und Goethes Spektrum; doch anders als diese enthalten sie die unbunten »Farben« Schwarz und Weiß. Diese neuen Spektren sind Wasser auf Goethes Mühlen. Zwar lassen sie sich mit Ach und Krach allesamt aus Newtons Theorie erklären, aber sie unterminieren die objektiven Beweisansprüche, die er mit seiner Theorie erhoben hatte und die Goethes Unmut erregten.